Biologie und Pest-Management von Harlekinschrecken (Orth.: Pyrgomorphidae)
Harlekinschrecken (Heuschrecken der Gattung Zonocerus) verursachen in vielen Ländern Afrikas Schäden in der Land- und Forstwirtschaft. Die Kenntnisse vom 'Liebesleben' der Schmetterlinge haben es uns ermöglicht, ökonomisch vertretbare und ökologisch schonende Management-Maßnahmen zu entwickeln.
Zonocerus werden nicht nur von PA angelockt, sondern durch diese Stoffe zudem zum Fraß stimuliert. Somit besteht die Möglichkeit, dem Lock- und Fressreiz PA - auf einer geeigneten Trägermasse - ein Insektizid (Stoffe, die entwicklungshemmend oder toxisch wirken) bzw. ein Biopestizid (insektenpathogene Pilze) beizumischen. Statt der oft gesundheits- und umweltgefährdenden, großflächigen Besprühung mit Chemikalien kann man den Heuschrecken gezielt 'Henkersmahlzeiten' bereiten: Zonocerus holen sich ihren Tod selbst ab und weder Nahrungsmittel noch die Umwelt werden mit Schadstoffen kontaminiert. Wir bringen nicht Insektizide zu den Schädlingen, sondern die Schädlinge zum Insektizid.
Bei den Studien an Zonocerus ergab sich eine weitere, unerwartete Problematik, die nur auf der Grundlage von Kenntnissen über Pharmakophagie interpretierbar ist und weitreichende Konsequenzen haben könnte: In unserem Untersuchungsgebiet in der Republik Bénin (wie auch in andere Staaten Westafrikas) kommt die univoltine Z. variegatus in zwei distinkten Populationen während der Regen- bzw. der Trockenzeit vor. Erst seit ca. 20 Jahren existieren Populationen, die in Land- und Forstwirtschaft große Schäden verursachen; früher war die Harlekinschrecke unauffällig. Erstaunlich ist zum einen, dass es lediglich in der Trockenzeit zu Schäden kommt, zum anderen die Koinzidenz des Schädlichwerdens mit dem Auftreten von Chromolaena odorata, eines südamerikanischen Korbblütlers, in Westafrika. C. odorata stellt in sich ein großes ökonomisches, vor allem aber ein ökologisches Problem dar, denn dieses Unkraut - es bildet bis zu 2 m hohe undurchdringliche Dickichte - hat enorme Verdrängungseffekte auf die einheimische Flora und zerstört wertvolle Ökosysteme. Für Zonocerus ist Chromolaena keine Futterpflanze. Die Heuschrecken nehmen den Neophyten nur in Gefangenschaft als Futter an, können sich damit jedoch nicht problemlos entwickeln.
Ist es also nur ein unbedeutender Zufall, dass Zonocerus mit der Einschleppung von Chromolaena schädliche Populationsgrößen erlangt? Nach unseren Erkenntnissen lässt sich die Beziehung von Zonocerus zu Chromolaena wie folgt zusammenfassen: 1. Chromolaena ist eine PA-Pflanze, allerdings enthalten nur ihre Wurzeln und ihre Blüten größere Mengen dieser Alkaloide. 2. Chromolaena blüht nur in der Trockenzeit. 3. Zonocerus-Larven und -Imagines werden von den Blüten angelockt und konsumieren sie in großer Zahl.
Der Erklärungsversuch lautet demnach: Zonocerus haben eine von der Ernährung unabhängige Beziehung zu Chromolaena, von der sie PA erhalten; diese pflanzlichen Sekundärstoffe werden gespeichert und schützen die Heuschrecken, besonders ihre diapausierenden Eier vor Fressfeinden und anderen Antagonisten. Dies bedingt die erhöhte biologische Fitness der Trockenzeit-Populationen. Ohne Chromolaena, d.h. vor der Einschleppung bzw. in Gebieten, die sie noch nicht erreicht hat, oder aber in der Regenzeit, wenn Chromolaena nicht blüht, scheinen PA eine begrenzende Ressource zu sein, die den Fortpflanzungserfolg der Heuschrecken reduziert.
Verallgemeinernd kann man formulieren: Eine eingeschleppte Pflanze kann ausschließlich über ihre Sekundärstoffe die Populationsdynamik einer indigenen Insektenart beeinflussen. Ein solcher versteckter chemoökologischer Effekt könnte auch bezüglich anderer Arten existieren - nicht nur in den Tropen, sondern auch bei uns in Mitteleuropa, wo die (Entomo-)Faunistik gebietsfremder Pflanzen bislang kaum untersucht ist.
Boppré M, Seibt U, Wickler W (1984) Pharmacophagy in grasshoppers? Zonocerus being attracted to and ingesting pure pyrrolizidine alkaloids. Entomol exp appl 35: 115-117. lesen / read
Z. elegans is attracted to pure pyrrolizidine alkaloids and to ingest them. This finding makes the species likely to be pharmacophagous; also, it might provide means of controlling Zonocerus, and it indicates the importance of olfaction for localizing and recognizing host-plants in grasshoppers.
Boppré M (1991) A non-nutritional relationship of Zonocerus (Orthoptera) to Chromolaena (Asteraceae) and general implications for weed managment. Pp 153-157 in Muniappan R, Ferrar P (eds) Ecology and Management of Chromolaena odorata. Proc 2nd Intern Workshop on Biol Control of Chromolaena odorata. (BIOTROP Special Publ No 44.) Bogor, Indonesia: ORSTOM and SEAMEO BIOTROP.
The likely phamacophagous relationship between the grasshopper Zonocerus variegatus and the weed Chromolaena odorata (Eupatorium odoratum) in west Africa is discussed. The role of secondary plant substances in the ecology of exotic plants and their biological control is briefly considered with particular reference to the use of the moth Pareuchaetes pseudoinsulata for controlling E. odoratum.
Fischer OW, Boppré M (1997) Chemoecological studies reveal causes for increased population densities of Zonocerus (Orth.: Pyrgomorphidae) and offer new means for management. Pp 265-279 in Krall S, Peveling R, Ba Diallo D (eds) New Strategies in Locust Control. CH-Basel: Birkhäuser Verlag. lesen / read
Grasshoppers of the genus Zonocerus sequester pyrrolizidine alkaloids (PAs) not only from certain nutritional host plants but also independent of dietary requirements. Storage of PAs serves protection of the insects from antagonists, and thus aquisition of these secondary plant chemicals modulates the grasshopper's population dynamics. Flowers of the introduced weed Chromolaena odorata (Asteraceae) represent a novel and inexhaustable resource of PAs - but only for populations in the dry-season. Evidence is provided that better performance related to the presence of Chromolaena is a reason that dry-season populations became a serious pest in coincidence with the spread of the weed.
The chemoecological knowledge on the Zonocerus-PA relationship permits the development of selective baits, and with environmentally sound and cost-efficient application of insecticides the species can be lured to its doom. Multiple means for employing PA-baits within IMP concepts are possible, i.e. strategies of population management can be tailored according to actual demands and conditions. Apart from fighting the grasshopper in individual farms, a general reduction of Zonocerus populations is suggested to lower mean levels of abundance in areas with frequent upsurges; this could be done by combining PA-baits with mycoinsecticide technology.
Boppré M, Fischer OW (1999) Harlekinschrecken (Orthoptera: Zonocerus) - Schadinsekten der besonderen Art. Gesunde Pflanzen 51: 141-149 lesen / read
Heuschrecken der Gattung Zonocerus sequestrieren Pyrrolizidin-Alkaloide (PA) nicht nur von bestimmten Futterpflanzen, sondern auch unabhängig vom Nahrungserwerb. Sie speichern diese sekundären Pflanzeninhaltsstoffe zum Schutz vor Antagonisten. Mit Blüten des eingeschleppten Unkrauts Chromolaena odorata (Asteraceae) haben Trockenzeit-Populationen eine neue und nahezu unerschöpfliche Quelle für PA und erreichen damit eine höhere Fitness, was sie zu Schädlingen in Land- und Forstwirtschaft macht. Das chemoökologische Verständnis um die "pharmakophage" Beziehung von Zonocerus zu PA ermöglicht das selektive Ködern einer schädlichen Heuschreckenart und liefert den Schlüssel für ein flexibel gestaltbares, umweltgerechtes und ökonomisch vertretbares Management der Harlekinschrecken. Das Beispiel erläutert ferner verschiedene grundsätzlich relevante Aspekte zur Biologie und zum Management von Insekten.
Boppré M, Fischer OW (1994) Zonocerus and Chromolaena in West Africa. A chemoecological approach towards pest management. Pp 107-126 in Krall S, Wilps H (eds) New Trends in Locust Control. D-Eschborn: GTZ. lesen / read komplett unter http://ispi-lit.cirad.fr/text/Boppre94a.htm